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Peter

alias James "Pond"


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Peter

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Beitrag 131494 , Rückblick in die Welt von morgen [Alter Beitrag29. Oktober 2007 um 21:06]

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Auf Spiegel Online findet sich
dieser Artikel, der eine fast vergessene Seite der Sechziger Jahre beleuchtet: Die damalige Aufbruchstimmung, den Optimismus und den Glauben an eine bessere Zukunft durch Technik, Forschung und Entwicklung. So etwas kennen wir heute garnicht mehr.

Das Symbol dieses Fortschrittsglaubens war die Raumfahrt, mit dem Höhepunkt Apollo 11, der ersten Mondlandung pünktlich zum Ende des Jahrzehnts im Juli 1969.

Wer genau hinschaut wird aber feststellen, daß sich das geistige Klima 1969 bereits gewandelt hatte. Darum liegt der Verfasser des Artikels auch völlig daneben, wenn er die ursprüngliche Fortschrittbegeisterung als "die andere Seite von 1968" sehen will. Eher war es so, daß in der ersten Hälfte der Sechziger der Optimismus dominierte, der dann schrittweise demontiert wurde. Das begann eigentlich mit der Ermordung Kennedys im November 1963. Sein Nachfolger konstruierte bereits 1964 einen obskuren "Zwischenfall im Golf von Tonking" als Ausrede dafür, daß Amerika in Vietnam endlich offen Krieg führen konnte. Das sollte man bald bitter bereuen, und davon haben sich das Ansehen und die moralische Integrität der Vereinigten Staaten nie wieder erholt.

Es folgten Rassenunruhen in USA, 1967 bis 1969 wurden Jugenprotest, Flower-Power Studentendemos in Deutschland und in der Welt zu Massenbewegungen. Die Welt veränderte sich radikal. Über Nach kamen Drogen in großem Maßstab in Umlauf, und um 1970 herum folgte der "Umweltschutz", Stichwort "Club of Rome".

Als Ergebnis dieser Entwicklung hörte man auf, positiv an die Zukunft zu denken und fing an, vor ihr Angst zu haben- und das ist bis heute so geblieben, Stichwort Klima.

Die Alt-68er werden in den kommenden Monaten sicherlich oft vor die Fernsehkameras bemüht und sie werden nicht aufhören, sich als Retter der Demokratie und als Befreier von alten Zöpfen und gestrigen Obrigkeiten zu feiern. Nach meiner Überzeugung ist das einfach nicht wahr. Damals hat nach meiner Meinung ein verhängnisvoller, politischer Pradigmenwechsel eingesetzt, der bis heute unvermindert nachwirkt.

Ich will das mal gewohnt provokant überspitzen (was euch ja Gelegenheit gibt, ganz anderer Meinung zu sein): Der "optimistische Mensch" vor dem Umbruch war ein betont rationales, gut ausgebildetes, vernünftig denkes und handelndes Wesen. Das machte ihn bei den Mächtigen unbeliebt, denn von ihnen hätte diese Art Wähler dauerhaft eine vernünftige Politik eingefordert. Das ist schlecht, weil es die Mächtigen daran hindert, sich schamlos selbst zu bedienen.

Dank der Alt-68er und ihrer Nachfahren haben wir den "Angstmenschen" statt des Zukunftsoptimisten bekommen. Und der ist bei den Mächtigen äußerst beliebt. Denn wer dauernd große bis irrationale Angst vor etwas hat, der kniet vor jedem Heilsbringer nieder der ihm Erlösung verspricht, völlig egal ob das vernünftig ist oder nicht. Rette mich vor CO2, vor den Terroristen, vor den Islamisten- das darf kosten was es will (viel Geld und auf Dauer alle Bürgerrechte), das dumme Volk macht mit.

Schade eigentlich, daß wir nicht mehr "Alt-63er" haben.
Heiko

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Beitrag 131514 [Alter Beitrag30. Oktober 2007 um 08:33]

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Hm,

Zitat:
Dank der Alt-68er und ihrer Nachfahren haben wir den "Angstmenschen" statt des Zukunftsoptimisten bekommen. Und der ist bei den Mächtigen äußerst beliebt. Denn wer dauernd große bis irrationale Angst vor etwas hat, der kniet vor jedem Heilsbringer nieder der ihm Erlösung verspricht, völlig egal ob das vernünftig ist oder nicht. Rette mich vor CO2, vor den Terroristen, vor den Islamisten- das darf kosten was es will (viel Geld und auf Dauer alle Bürgerrechte), das dumme Volk macht mit.



Wenn man jetzt mal nur die USA betrachtet, wurde der (ich nenn ihn mal) "Fortschrittsmensch" durch den "Angstmensch" ersetzt.

Der "Fortschrittsmensch" war hehl auf von der Regierung begeistert, die mit Atomstrom und Pestizide für eine bessere Welt sorgt, ohne zu ahnen, dass hier die Industrie hinter den Politikern steht und denen der Mensch, der an den Pestiziden erkrankte scheiss egal war. Ich denk nur an die schönen Wochenschauaufnahmen, wo in einem Schwimmbad über den glücklich lächelnden Menschen hochgiftige Pestizide versprizt wurden.

Heute rennt der "Angstmensch" hinter der Regierung her, die durch die Verfolgung vermeintlicher Terroristen im Irak für mehr Menschenrechte dort sorgen will, ohne zu ahnen, dass auch hier wieder die Regierung hinter den Politikern steht, allen vorrann die Öl-Industrie, die im Irak billiges Erdöl förden will. Das dabei die Menschenrechte mal wieder auf der Strecke bleiben und nicht nur im Irak, bekommen nur wenige mit. Ich fands auch interesant, dass heute morgen in den Nachrichten kam, dass ein Privatunternehmen, welches im Verdacht steht, für die Ermordung von über einen Dutzend Zivilisten im Irak verantwortlich zu sein, vom US Aussenministerium Immunität bekam, damit die irakischen Ermittler nicht zu untersuchen haben.

An der Entwicklung des "Angstmensch", den es auch in Europa gibt, sind nicht die "Alt 68er" schuld, sondern wiedermal die Politiker, die der Industrie nach dem Mund reden. Die haben wider besseren Wissens den unendlichen Fortschritt gepredigt. Und der "Fortschrittsmensch" hat dann Ende der 60er dann erfahren, dass es diesen Fortschritt nicht geben kann und bis heute hat sich daran nichts geändert und durch steigende Arbeitslosenzahlen hat dann der "Fortschrittsmensch" immer mehr Angst um seine Zukunft bekommen. Dann hat er auch noch erfahren, dass die ach so guten Politikern zugelassen haben, dass mit seiner Umwelt Schindluder getrieben wurde, und er hat noch mehr Angst bekommen. Der Höhepunkt ist dann das Schüren der Angst vor Terroristen, womit dann die Politik versucht von den anderen Ängsten abzulenken. Und da war dann der "Angstmensch".

Ich persönlich bin ein optimistischer Pessimist. Pessimist, weil wenn wir so weiter machen, endet es in der Katastrophe. Optimist, weil ich glaube, wenn wir uns ändern, ohne dabei viel auf unseren Luxus verzichten zu müssen, können wir es schaffen, der Katastrophe zu entgehen und in eine tolle Zukunft zu gelangen. Aber solange sich unsere Politiker von der Industrie gängeln lassen und wir auch noch diese Politiker wählen, wird nichts passieren. So waren die "Alt 68er" diejenigen, die an einer tollen Zukunft geglaubt haben, aber vom Establishment niedergewalzt wurden.

MFG Heiko

Physiker sind universell einsetzbar, jeder sollte einen haben.
Peter

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Beitrag 132083 [Alter Beitrag10. November 2007 um 21:26]

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Zitat:
Original geschrieben von Heiko
So waren die "Alt 68er" diejenigen, die an einer tollen Zukunft geglaubt haben, aber vom Establishment niedergewalzt wurden.

Die Alt-68er und ihre politischen Mutanten sind längst selbst zum Establishment geworden, das z.B. unsere Bürgerrechte "niederwalzt". Aber vielleicht sollten wir uns mal genauer ansehen, was uns die bunte Truppe aus Hippies, Revoluzzern und Ökos gebracht hat, 1968 und darüber hinaus bis heute. Ich seh das so:

Technikfeindlichkeit
Die Hippiekommune wollte weg vom Leistungsdruck, hinaus aufs Land. Für die Ökos war die Technik ein naturzerstörendes Teufelswerk, und der Revoluzzer sah in der Industrie die stahlgewordene Weltverschwörung der Großkonzerne zur Unterdrückung der Werktätigen. Am schlimmsten traf es die Chemie: Plötzlich war das nicht mehr die bunte, spannende Experimentalwelt mit deren Hilfe man auch Raketentreibstoffe mischen konnte, alles war jetzt Gift und drohender Untergang. Erst in den Neunzigern begann sich dieser Meinungsterror etwas zu lockern, richtig erholt haben wir uns davon bis heute nicht.

Wertewandel
Für die Technikfeindlichkeit gibt es einen tiefer sitzenden Grund, der manchen Mitläufern von 68 und den ideologischen Mutantionen daraus womöglich garnicht bewußt gewesen ist: Die Ideologie der "Frankfurter Schule". Leute wie Adorno wollten herausgefunden haben, daß eine technikfreundliche Gesellschaft besonders anfällig ist für den Faschismus. Und nicht nur das: Ordnung, Sauberkeit, Disziplin, Fleiß usw., alle sogenannten "deutschen Tugenden" also, sind demnach Kennzeichen einer faschistoiden Gesellschaft. Lafontaine nannte sie Anfang der Neunziger "Sekundärtugenden, mit denen man ein KZ betreiben könne". Was für eine dümmliche, verblendete Ideologie!

Terrorismus
Wer 68 sagt, muß auch RAF sagen, eines ist zwangsläufig aus dem anderen hervorgegangen. Die "Rote Armee Fraktion" führte einen völlig sinnlosen "Befreiungskampf", denn im freiesten und wohlhabendsten Staat, den es je auf deutschem Boden gegeben hatte war kaum jemand, der sich von ihnen befreien lassen wollte. Scheiße im Hirn, aber die Knarre im Anschlag, so zogen sie eine Blutspur mit vielen Toten hinter sich her. Statt der Befreiung kam das Gegenteil: Der eher hilflose und verunsicherte Staat fing an mit "Rasterfahndung" und Gesetzesverschärfungen. Der RAF haben wir es ganz wesentlich zu verdanken, daß wir nicht mehr beim netten Mädel von der Drogerie den Salpeter legal kaufen und unser Schwarzpulver selber mischen können, sondern daß uns die Polizei die Bude stürmt, wenn wir es nur versuchen. Seither gibt es kein Halten, der Ausverkauf von Bürgerrechten nimmt immer schlimmere Formen an, jetzt da der Staat auf den Geschmack gekommen ist und mit "9/11" die perfekte Ausrede gefunden hat.

Drogen
Vor 68 spielten Drogen keine große Rolle. Irgendeine Schickeria hat sicher immer schon gekokst, aber es gab keine Drogen auf dem Schulhof, sie tauchten selbst in Krimis fast nie auf. Doch der "Summer of love" verherrlichte die "Bewußtseinserweiterung" durch Drogen wie LSD und man wurde nicht müde, sie zu verharmlosen. Seither sind Drogen Bestandteil unserer Gesellschaft, sehr zur Freude der Kriminellen, die sich dumm und dämlich dran verdienen, und zur Freude der Warlords, die ihre Kriege damit finanzieren. An jedem durch Drogen ruinierten Leben, an jedem Drogentoten bei uns sind die 68er mitschuldig, so einfach ist das.

Obrigkeit
Besonders stolz sind die Veteranen von 1968 darauf, daß sie uns vom Obrigkeitsdenken erlöst und die Gesellschaft freier und liberaler gemacht hätten. Haben sie das wirklich? Gewiß war der Zeitgeist damals "authoritärer". Jedoch: Das galt für die gesamte Welt, nicht nur für Deutschland. Und die Versuche, das zu ändern, begannen weder in Deutschland noch 1968, sondern eher im Amerika der späten Vierziger und Fünfziger Jahre (->Beatniks, ->Halbstarke, ->James Dean...) Ob Frauen- oder Schwulenbewegung, nichts davon geht auf uns zurück, 68 & Co waren da nur Trittbrettfahrer. Ich bestreite garnicht, daß sie ihren Beitrag geleistet haben, nur wäre der geistige Klimawandel auch ohne sie gekommen. Hinzu kommt, daß antiauthoritär nicht zwangsläufig gut sein muß, mit ihrer berüchtigten, antiauthoritären Erziehung erlitten die 68er prompt Schiffbruch.



Geändert von Peter am 10. November 2007 um 21:33

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